Kapitel 22
„Und nochmal von vorne! Nein, Eschenpfote, du musst höher singen!“
Kleinwolke hatte sichtlich zu tun, als er versuchte aus den Katzen des SchattenClans professionelle Chorkatzen zu machen. Rein zufällig hatte der Heiler am Morgen beim Krähenort ein Buch mit der Aufschrift „Katzenmusik für Anfänger“ gefunden (der imaginäre Wissenschaftler schniefte leise, als er erfuhr, dass Kleinwolke lesen konnte). In dem Buch standen einige tolle Lieder und Tipps, wie man einen guten Chor zusammenstellte.
Mit einigen Begriffen konnte Kleinwolke zwar beim besten Willen nichts anfangen – was, beim SternenClan, sollten Dreiklänge oder eine C-Dur-Tonleiter sein? -, aber immerhin hatte er vor zehn Minuten mal versucht, die Katzen, die in ungefähr derselben Stimmlage jaulten, nebeneinander zu stellen. Leider war diese Methode trotz des guten Vorsatzes nicht sehr erfolgreich, da manche – wie etwa Eschenpfote – bei jedem Durchgang anders jaulten.
Langsam verzweifelte Kleinwolke.
„Warum muss ich denn höher singen?“, fragte Eschenpfote nun verwirrt. „Soll ich etwa auf einen Baum klettern?“
„Nein“, seufzte Kleinwolke, „Deine Stimme soll höher sein, nicht du!“
„Und wie?“, fragte Eschenpfote.
„Üb einfach ein bisschen für dich allein“, meinte der SchattenClan-Heiler. „Sing einfach alle Beutetiere, die du kennst, und versuch jedes Tier mal höher und mal tiefer zu singen.“
„Ok“, miaute Eschenpfote und entfernte sich von der Gruppe.
„Können wir auch aufhören zu singen?“, fragte Rostfell und fuhr sich mit der Pfote über das Kopffell. „Ich habe keine Lust mehr. Wozu haben wir denn unser ganzes Lager dekoriert, wenn wir sowieso irgendwo im Wald herumstehen und Gejaule üben? Wir sollten bei der Feier einfach improvisieren, das können wir am besten.“
„Genau“, stimmten die anderen SchattenClan-Katzen zu.
„Aber“, fing Kleinwolke entsetzt an, „Ich dachte, wir machen diesmal etwas Professionelles! Wenigstens einmal!“
Schwarzstern – der unbemerkt bei keinem einzigen Lied wirklich mitgejault, sondern immer nur den Mund bewegt hatte – funkelte den Heiler an.
„Wie meinst du das, 'wenigstens einmal'? Der SchattenClan ist immer professionell!“
„Natürlich“, murmelte Kleinwolke.
Im Hintergrund hörte man Eschenpfote leise „Maus, Maus, Maa-aaus … Eichhorn!“ singen. Obwohl es Kleinwolkes eigene Idee gewesen war, dass der Schüler dies tun sollte, ging ihm der Lärm deutlich auf die Nerven.
„In Ordnung, Eschenpfote, du kannst aufhören. Du bist schon viel besser geworden!“, schwindelte der Heiler.
Eschenpfote strahlte. „Echt?“
Kleinwolke nickte. „Und nun lasst uns zurück zum Lager gehen!“
Das taten sie auch.
Doch als sie sich durch den Lagereingang zwängten, blieben die SchattenClan-Katzen überrumpelt stehen.
Rostfell drehte sich um und wollte schon wieder loslaufen.
„Macht mal Platz, wir müsssen zurück. Das ist nicht unser Lager.“
Die SchattenClan-Katzen tuschelten.
„Aber wir sind doch von hier gekommen“, piepste eines von Mohnblütes Jungen.
Rostfell warf der winzigen Katze einen geringschätzigen Blick zu.
„Quatsch, das wüsste ich. Immerhin bin ich die Zweite Anführerin. Das hier ist nicht unser Lager, denn unser Lager sah schön aus, und dieses Lager ist total zerstört. Wir müssen einen Teil unseres Territoriums entdeckt haben, den wir vorher noch nicht kannten, oder ...“
Sie blinzelte und sah zu Schwarzstern, der die ganze Zeit über stumm und mit vor Entsetzen geweiteten Augen vor sich hin gestarrt hatte.
„Ist das wirklich unser Lager?“
Schwarzstern nickte.
Als wäre sein Nicken ein geheimes Zeichen gewesen, brachen alle Katzen in Wehklagen und tieftrauriges Jaulen aus.
Kleinwolke war stolz auf sie. So toll hatten sie vorhin nicht zusammen gejault!
„Was machen wir denn jetzt?“, fragte Zedernpfote mit großen Augen. „Wir müssen doch jetzt nicht nochmal losgehen und Ratten jagen, oder?“
„Wir können einfach zum WindClan gehen und ihre Deko stehlen“, schlug ein Krieger in recht unüberzeugtem Tonfall vor.
Schwarzstern räusperte sich. „Nein, das wäre unehrenhaft. Passt auf, wir machen es so: Die Schüler ziehen los und sammeln mit Kleinwolke Spinnenweben. Rostfell führt eine Patrouille in den Wald, die Ratten und Mäuse jagt, damit wir wieder Skelette für die Deko haben. Und ich, ich werde alleine zum WindClan gehen und ihre Deko stehlen. Oder nein, Mohnblüte kommt mit mir.“
Mohnblüte sah ihren Anführer entgeistert an. „Aber mein Junges ...“
„Nimm es mit oder lass es bei seinem Vater – wer auch immer das ist. Aber ich brauche dein Einfühlungsvermögen für diese Aufgabe.“
Kleinwolke erhob Einspruch. „Ich glaube nicht, dass der SternenClan wollte, dass wir anderen Clans die Deko klauen ...“
„Ach was“, erwiderte Schwarzstern, besann sich dann aber. „In Ordnung, ich werde Riesenstern vorher warnen. Komm, Mohnblüte!“
Ungeachtet Kleinwolkes weiter Proteste lief Schwarzstern los, gefolgt von Mohnblüte, die ihr Junges auf dem Rücken trug und allmählich begann, an dem Verstand ihres Anführers zu zweifeln (der, um das mal anzumerken, immer noch ein pink gefärbtes Fell hatte). Ob die Anführer der anderen Clans auch so waren? Sie konnte es sich kaum vorstellen.
Beim WindClan angekommen, befahl Schwarzstern stehen zu bleiben.
Aus der Nähe waren leise Trauergeräusche zu hören.
„Hörst du das?“, flüsterte der SchattenClan-Anführer leise, „Das klingt, als wäre etwas passiert. Vielleicht ist das unsere Chance, Riesenstern in ein Gespräch zu verwickeln, und anschließend mit der Deko abzuhauen.“
Vorsichtig schlichen sich die beiden erwachsenen Katzen an das WindClan-Lager heran (schließlich wollten sie nicht schon im Voraus von einer Wache entdeckt und wieder davon geschickt werden).
Mohnblütes Junges piepste aufgeregt, als es die ganzen fremden Katzengerüche wahrnahm.
Schwarzstern warf ihm einen ratlosen Blick zu.
„Kannst du es nicht beruhigen?“
„Wie denn?“, fauchte Mohnblüte leise. „Normalerweise jaule ich ihm Schlaflieder vor, aber das kann ich hier wohl kaum machen!“
„Oh“, machte Schwarzstern. Dann hatte er eine Idee.
„Lass es als erstes in das Lager laufen. Das wird die WindClan-Katzen bestimmt gnädig stimmen, so weichherzig wie sie sind.“
Mohnblüte hatte zwar leichte Zweifel, ob die Idee wirklich so gut war, aber sie musste Schwarzstern recht geben, dass der WindClan bestimmt kein Junges angreifen würde.
Also setzte sie Rauchjunges auf den Boden und ermunterte ihn, auf das Lager zuzukriechen.
Der kleine, schwarze Kater krabbelte eifrig vorwärts und war bald durch den Eingang verschwunden.
Herzschläge später hörte man unterdrückte Entzückungsrufe und Schnurren. Schwarzstern warf Mohnblüte einen triumphierenden Blick zu, dann stolzierten die beiden Katzen hinter dem Jungen her.
Die WindClan-Katzen, die sich alle um Rauchjunges geschart hatten, warfen den Neuankömmlingen sofort böse Blicke zu. Riesenstern kam mit gesträubtem Fell auf sie zu.
„Ihr“, knurrte er verächtlich, „Kommt ihr, um euch zu entschuldigen?“
„Entschuldigen?“, fragte Schwarzstern verwirrt, „Wofür denn?“
„Warum ist dein Fell pink?“, konterte Riesenstern. Schwarzstern zuckte mit der Schweifspitze.
„Warum fragt mich das jeder? Könnt ihr mich mit meinem gefärbten Fell nicht akzeptieren? Ich bin immer noch derselbe Kater, und ob mein Fell nun weiß, schwarz oder pink ist, hat keinerlei Auswirkungen darauf, wer ich wirklich bin!“
Er holte tief Luft und wollte gerade weiter fortfahren, als Riesenstern besänftigend dazwischenmiaute. „Schon gut, war ja nur eine Frage.“
„Man fragt Katzen nicht, warum ihr Fell pink ist“, grummelte Schwarzstern.“
„Also ich finde dein Fell toll“, miaute eine junge WindClan-Kriegerin und kicherte. Ihre Baugefährtinnen warfen ihr einen schrägen Blick zu.
„Ich mein, natürlich nicht so toll wie Riesensterns Fell“, ergänzte sie hastig, woraufhin Riesenstern nachdenklich sein Fell musterte.
Mohnblüte räusperte sich. Die Königin aus dem SchattenClan hatte, während die beiden Anführer herumgeplänkelt hatten, das WindClan-Lager in Augenschein genommen und bemerkt, dass auch hier nichts als Chaos herrschte. Außerdem stank er verdächtig nach … Kaninchenkötteln?
„Bei euch wurde also auch die Deko zerstört?“
Riesenstern nickte trübsinnig.
„Wisst ihr, wer das war?“, fragte Mohnblüte weiter.
Riesenstern kniff die Augen zusammen.
„Na, ich dachte, ihr vom SchattenClan hättet das gemacht. Seit ihr nicht deshalb extra hierher gekommen, um uns euer Junges als Deko anzubieten?“
„WAS?!“, jaulte Mohnblüte und sträubte das Fell. „Mein Rauchjunges? Niemals!“
„Er sieht aber schon recht dekorativ aus“, miaute nun Rindengesicht, der WindClan-Heiler.
Die WindClan-Katzen nickten zustimmend.
„Wir waren das nicht!“, knurrte Mohnblüte und funkelte den Anführer des anderen Clans feindselig an.
„Oh, na dann ...“, überlegte Riesenstern und runzelte nachdenklich die Stirn (die imaginäre Wissenschaftler atmete tief durch, um seine Nerven zu beruhigen). „Dann war es vielleicht der FlussClan. Könnte sein, dass sie herausgefunden haben, dass wir uns ihre Fische geklau – ähm, angesehen haben, meinte ich natürlich. Sie haben gegenüber ihren Fischen einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Noch nicht einmal gucken darf man!“
Er schüttelte den Kopf. „Aber ob sie gleich so reagieren, nur um sich zu rächen?“
„Also, wir im SchattenClan sind ja gerade dabei, einfach alles wieder neu aufzubauen!“, miaute Schwarzstern.
„Und weshalb genau steht ihr beiden dann hier herum?“, fragte Riesenstern.
„Ähm, wir wollten …“, fing Schwarzstern an.
Mohnblüte setzte den Satz fort: „ … Rauchjunges zeigen, dass er niemals fremdes Clan-Territorium betreten darf.“
Riesenstern nickte. „Ach so. Gut. Ich dachte schon, weil bei euch ja auch alles kaputt ist, wolltet ihr nun bei uns die Deko stehlen. Aber dann bin ich ja beruhigt, dass ihr das nicht vorhattet.“
„Nein nein“, miaute Schwarzstern mit einem falschen Lächeln (der imaginäre Wissenschaftler bezweifelte, ob er jemals wieder lächeln würde). „Das wäre ja, äh, unehrenhaft.“
„Am besten, wir gehen jetzt einfach wieder“, sagte Mohnblüte. „Ihr wollt bestimmt auch in Ruhe alles wieder aufbauen.“
Rindengesicht mischte sich hastig ein: „Ich denke, wir sollten uns vielleicht alle mal treffen und überlegen, wie wir das Problem gemeinsam lösen können. Kein Clan sollte die Situation alleine meistern.“
„Aber wir wissen ja gar nicht, ob es bei den beiden anderen Clans auch so aussieht“, gab Riesenstern zu bedenken. „Immerhin könnte immer noch der FlussClan dahinter stecken!“
„Bei euch vielleicht, aber bei uns bestimmt nicht“, warf Schwarstern ein. „Wie auch immer, wir müssen jetzt wirklich los.“
Der Anführer wollte sich in Bewegung setzen, stolperte jedoch über eine etwas kleinere Gestalt.
„He!“, beschwerte sich Schwarstern, „Was -?“
Es war Rennpfote, der ihn und Mohnblüte bettelnd ansah.
„Rauchjunges ist so süß und hier im WindClan sind so wenig junge Katzen und schon gar keine, die so niedlich sind – bitte, Mohnblüte: Darf Rauchjunges hier bleiben? Wenigstens bis zur Feier?“
„Er ist wirklich so dekorativ“, stimmte Rindengesicht zu und betrachtete das SchattenClan-Kätzchen liebevoll, das vor einiger Zeit auf dem Boden eingeschlafen war und alle vier von sich in die Luft streckte.
Mohnblüte seufzte. „Nein. Wir brauchen unsere dekorativen Jungen selbst.“
Enttäuscht sah Rennpfote zu Boden. „Man kann hier überhaupt keinen Spaß haben!“
von Rune, Skywatcher, Mowgli und Kastanienblüte