Die ersten 100 Seiten waren größtenteils neue Geschichten. Sie erzählen von Kurzpfotes Schülerzeit und seinem Leben als junger Krieger. Jung, unbeschwert und leider auch schon damals stellenweise egoistisch. Sein Prahlen bei den Hauskätzchen im Zweibeinerort ist nervig, aber ok, Katzen dürfen ruhig Fehler und Charakterschwächen haben. Er erkennt schließlich, dass sein Platz im Clan ist, wie es schon bei vielen anderen Charakteren, vor allem in Special Adventures, der Fall war. Warum ist Kurzbart anders?
Weil er so ein Lappen ist, dass er seine schwangere Exfreundin wiederholt wegschickt, nur weil es ihm zu unbequem ist, sich mit den Konsequenzen seines Handelns auseinanderzusetzen. Als Rauch ihm erzählt, dass ihre anderen Jungen alle gestorben sind, erneut wegen Umständen, die durch Kurzbarts Weigerung, ihr Hilfe anzubieten, entstanden sind, und dass sie einfach nur möchte, dass ihr überlebender Sohn sicher und zusammen mit ihr aufwächst, hat Kurzbart doch tatsächlich die Nerven, sie wieder wegzuschicken. Und als Leser*innen wissen wir, dass er das zu einem Großteil tut, weil er Angst vor der Reaktion seiner Clangefährten hat. Dann geht er weg und hofft einfach, dass das Problem sich von selbst löst, obwohl er Rauch versprochen hat, zurückzukommen. Wie jämmerlich kann ein Kater bitte sein? Und dann über Jahre hinweg nicht den Mumm aufbringen, mal mit irgendwem darüber zu reden, selbst als Dunkelschweif plötzlich auf der Schwelle steht und Kurzsterns Familie und seinen Clan bedroht.
Das andere ist Kurzbarts zunächst weirde Obsession mit Feuerstern und dann die totale 180°-Wende im neuen Territorium. Am Anfang habe ich mir wirklich gedacht, dass das doch vllt auch über freundschaftliche Gefühle hinausgeht. Als Kurzstern dann selbst Anführer wird und meint, sich nur durch toxisches Dominanzgehabe seinem Clan gegenüber beweisen zu können und gleichzeitig der Illusion nachhängt, dass er und Feuerstern ja trotzdem Freunde sein könnten, die nur vor den anderen so tun müssen, als könnten sie sich nicht leiden, hätte ich am liebsten meinen Kopf gegen mein Bücherregal geschlagen. Kurzsterns Verhalten und seine absurden Vorwürfe gegenüber den anderen Anführern wirken fast wahnhaft. Ich fand es tatsächlich ein wenig ironisch, als er über den Wahn in Dunkelschweifs Augen lamentierte.
Sehr problematisch fand ich btw, dass Kurzstern zwar mehrfach kurz darüber nachdenkt, ob vllt seine Abweisung der Auslöser für Dunkelschweifs Bösartigkeit gewesen sein könnte. Das Buch suggeriert aber eher, dass er schon als Junges wütend und böse war (siehe bspw. die erste Begegnung von Dunkeljunges und Kurzbart) und Kurzstern sagt selbst im finalen Kampf, dass Dunkelschweif niemals ein Krieger hätte werden können. Das erinnert mich sehr daran, wie Braunstern in Staffel I und Gelbzahns Geheimnis dargestellt wurde. Von Geburt an böse veranlagt und die Ablehnung von Elternteilen wirkte lediglich als Katalysator für diese Bösartigkeit. Was im Umkehrschluss aber bedeuten würde, dass weder Gelbzahn noch Kurzstern irgendetwas für die Entwicklung ihrer Jungen können und das ist einfach falsch. Besonders Kurzstern hätte hier absolut Verantwortung übernehmen sollen für sein Versagen als Vater und Krieger. Diese Chance wurde vertan und das laste ich dem Buch schwer an.
Zur eigentlichen Kernfrage des Buches, ob Kurzstern in den SternenClan gehört, sag ich separat im Spoiler zur Diskussionsfrage was. Aber ganz ehrlich, ich finde er hätte es verdient, eine richtige Anhörung beim SternenClan zu haben, bei der Argumente ausgetauscht werden. Dadurch, dass wir den ganzen Rückblick aus Kurzsterns Perspektive sehen, ist klar, dass er der Meinung ist, er hätte seine Fehler wiedergutgemacht. Wir hören kein einziges Mal Vorwürfe von anderen Katzen. Ja, Kurzstern zerfließt stellenweise in Selbstmitleid weil er sich nicht traut, seine Fehler einzugestehen, aber letztlich macht ihm niemand (außer Dunkelschweif) irgendwie Vorwürfe und das finde ich.. weird? Also ich kann vllt noch akzeptieren, dass der SternenClan ihn am Ende aufnimmt. Bin grundsätzlich für Vergebung und zweite Chancen. Aber dann erklärt doch wenigstens, warum darüber diskutiert wird? Dass Riesenstern einfach nur am Ende erscheint und sagt "Jo, du darfst bleiben und btw das habe ich schon die ganze Zeit gewusst, weil du bist super" ist nicht ok, weil es die Perspektiven anderer Katzen auf Kurzsterns Handeln, vorallem derer, die direkt negativ davon betroffen waren, unsichtbar macht. Also da stört mich das Grundkonzept des Buches massiv.
Dann noch eine eher kleinere Sache, aber es gab zwei Stellen, an denen der Text einfach... falsch war? Und keinen Sinn ergeben hat. Also die Zusammenhänge zwischen Sätzen haben keinen Sinn ergeben oder es wurden komplett falsche Worte verwendet. Das ist meiner Meinung nach eigentlich nichts, was nur durch die Übersetzung kommen kann. Sicher wissen kann ich es aber nicht.
Achso, eine Sache, die mich positiv überrascht hat: Ich fand viele der "aufgewärmten Geschichten" aus Staffel I und II gar nicht schlimm, sondern aus WindClan-Perspektive eher erfrischend. Das liegt aber vmtl auch daran, dass ich Staffel II schon so lange nicht mehr gelesen habe, dass mir viele Szenen und Details auch gar nicht mehr im Kopf geblieben waren. Da fand ich es tatsächlich schön, noch einmal darin einzutauchen. Die ganzen Wiederholungen aus Staffel VI nervten mich deutlich mehr.
Oh, eine Sache noch: Die Kapitelaufteilungen fand ich stellenweise weird. Also es gab total oft lange Zeitsprünge innerhalb eines Kapitels, dafür wurde dann innerhalb einer Szene dann plötzlich ein Kapitelende gesetzt. Das hat den Lesefluss extrem erschwert. Vor allem die Zeitsprünge waren nicht immer sofort als solche erkennbar, was dann zu Verwirrung führte.